Die Zukunft des stationären Handels – eine kritische Betrachtung

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„Läuft nur billig in der Mode?“ fragt die Westfälische Rundschau am 01.10.2016 und kommt zu dem Ergebnis, dass der Wettbewerb in Dortmund durch Ketten wie Primark und Zara immer härter wird.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete im April von einem Essener Geschäftsinhaber, der von seinen Besuchern Eintritt verlangt. Wer in den Geschenkladen „Ideenreich“ in der Essener Innenstadt gehen möchte, muss zwei Euro Eintritt bezahlen. Der Ladenbesitzer leidet so sehr unter der Konkurrenz durch Online-Shopping, dass er inzwischen nicht mehr die Miete für sein Geschäft zahlen kann.

Den stationären Geschäften wird permanent empfohlen, auf das Wundermittel „Online-Handel“ zurückzugreifen und auf diese Weise, den Umsatz zu erhöhen. Als Lockmittel werden die großen Online-Händler angeführt mit ihren riesigen Absatzmengen, die angeblich durch den Internethandel entstanden sind. In vielen Städten werden Portale aufgebaut, die den stationären Geschäften den Internethandel schmackhaft machen sollen.

In Dortmund gibt es seit einiger Zeit das RNshopping, das als Online-Schaufenster der Ruhr Nachrichten sowohl im Internet als auch in der gedruckten Zeitung beworben wird. Der Kunde kann seine Wunschprodukte online reservieren und im stationären Geschäft vor Ort abholen. Das Portal ist eigentlich eine gute Idee und bietet auch kleineren Anbietern einen günstigen Einstieg in den Internethandel. Dennoch ist es erstaunlich, dass bisher nur knapp 100 Firmen bei RNshopping ihre Produkte anbieten. Dieses Ergebnis ist für eine Stadt wie Dortmund eher enttäuschend, obwohl doch der stationäre Handel immer häufiger mit einer rückläufigen Anzahl von Kunden und stagnierenden Umsätzen zu kämpfen hat.

Aus der Sicht von Bekowerdo ist das Projekt „Online-Handel“ für viele stationäre Geschäfte schwer zu stemmen.

Die meisten großen Onlinehändler bieten ihre Produkte häufig preiswerter an im Vergleich zum stationären Handel, da sie ihre Ertragslage durch hohe Umsatzzuwächse verbessern wollen. Dies kann sich der kleine oder mittelgroße Anbeiter jedoch nicht erlauben. Eine dauerhaft niedrige Absatzmenge würde das Internetgeschäft zunehmend unrentabel machen. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der nicht nur den Internethandel sondern auch das stationäre Geschäft noch weiter in die Krise führt.

Ist das Aufspringen auf den Online-Zug vor diesem Hintergrund jedem Unternehmen pauschal zu empfehlen, oder muss das Thema nicht nur betriebswirtschaftlich sondern auch makroökonomisch einmal beleuchtet werden?
Man sollte sich einmal fragen, ob der Online-Handel tatsächlich die Hauptursache für die Krise des stationären Handels ist oder bereits die Folgeerscheinung einer verfehlten Wirtschaftspolitik. Deutschland betreibt seit Jahren Lohnzurückhaltung. Das erfolgte durch starke politische Einflussnahme der Regierung ab Mitte 1999 zu Lasten der Position der Gewerkschaften. Wohin diese Politik geführt hat, stellen wir nun fest. Die Lohnzurückhaltung war und ist für die Binnennachfrage sehr schädlich. Man hat jahrelang auf Reallohnsteigerungen verzichtet und damit aber auch die Binnennachfrage geschwächt. Dies führte zum Verlust von Unternehmen und Arbeitsplätzen. Wenn die Reallöhne nun etwas steigen, liegt dies nicht an den hohen Tarifabschlüssen sondern an der durch Deutschland maßgeblich mitverursachten europäischen Deflation.

In einer solchen wirtschaftlichen Konstellation fehlt den Menschen die Kaufkraft um in ausreichendem Maße in den stationären Geschäften einzukaufen. Die noch verbleibende geringe Kaufkraft verlagert sich dann in den Online-Handel. In Deutschland kann man sich ein Wirtschaftswachstum ohne irrsinnige Exportüberschüsse offensichtlich gar nicht mehr vorstellen.

Der Ansatzpunkt zur Lösung des Problems für die stationären Geschäfte ist daher nicht in erster Linie der Weg ins gelobte Land des Online-Handels sondern ein dringend erforderliches Umdenken in der deutschen Wirtschaftspolitik. Dieses Thema mag man in Deutschland allerdings nicht so gerne diskutieren. Auch die Medien tragen ihren Teil dazu bei, indem der Bevölkerung permanent eingeredet wird Deutschland gehe es gut. Viele stationäre Geschäfte erleben ihre wirtschaftliche Situation jedoch ganz anders.

Welche Lösung gibt es ?
Es wird keine Lösung geben, wenn Deutschland nicht Marktanteile gegenüber anderen EU-Staaten abgibt, die in der Vergangenheit durch relative Lohnsenkungen erschlichen worden sind. Im Klartext heißt das, dass in Deutschland die Löhne so stark steigen müssen (und zwar oberhalb des Produktivitätszuwachses), dass das in der EU vereinbarte Inflationsziel von 2% eingehalten wird. Das hätte den Vorteil, dass die Binnennachfrage signifikant erhöht wird und die unsinnigen Exportüberschüsse abgebaut werden. Davon würden auch die stationären Geschäfte profitieren.

Das immer wiederkehrende Gegenargument eines unzulässigen Eingriffs in die Tarifautonomie läuft ins Leere, denn das Lohndumping hat ja seit 1998 in Gestalt des „Bündnis für Arbeit“ auch sehr gut funktioniert. Hier saßen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und die Regierung an einem Tisch. Unter massivem politischen Druck wurden Lohnzurückhaltung betrieben, deren Folgen wir heute zu spüren bekommen.

Ein Blick über den betriebswirtschaftlichen Tellerrand ist angezeigt, und zwar auch in deutschen Werbe- und Interessengemeinschaften, die das Problem auch einmal von der makroökonomischen Seite beleuchten und nicht permanent den Online-Handel als Allheilmittel anpreisen sollten.

Wenn vor allen Dingen die herrschende Politik diesen Zusammenhang nicht erkennt oder erkennen will, wird der stationäre Handel die negativen Effekte einer verfehlten Wirtschaftspolitik weiterhin zu spüren bekommen und der Weg der Binnenwirtschaft wird weiterhin in die Katastrophe führen.

Statistik
Die europäische Konjunktur hat im Frühjahr 2016 erneut einen Rückschlag erhalten, und zwar auch beim Einzelhandelsumsatz, der ähnlich wie die Industrie- und Bauproduktion ohne nennenswerte Steigerung verläuft: Statistik des statistischen Bundesamtes „Umsatz nach ausgewählten Wirtschaftszweigen, preisbereinigt (real), Messzahlen 2010=100