Demographischer Wandel zur Durchsetzung von Einzelinteressen

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Kommentar von Dipl.-Volkswirt Rüdiger Beck zum Artikel in der Westfälischen Rundschau  „Nur Großraum Dortmund ein Job-Motor“ vom 09.08.2014.

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dieser Satz wird dem Physiker Niels Bohr zugeschrieben und er trifft auch besonders auf Beschäftigungs- und Bevölkerungsprognosen von Wirtschaftswissenschaftlern zu. Auf der einen Seite sind wir kaum in der Lage, das Wetter für die nächsten 14 Tage vorherzusagen und auf der anderen Seite werden vom Welt Wirtschafts Institut Studien erstellt, in denen die Beschäftigungsschwankungen bis zum Jahr 2030 vorausgesagt werden, sogar für einzelne Regionen und mit einer Stelle hinter dem Komma.

Warum wird in den letzten Jahren so viel Demographie-Panik geschürt? Ganz einfach: es gibt viele Nutznießer. Die Unternehmer konnten sich damit aus der anteiligen Rentenbeitragszahlung verabschieden, denn die „private Altersvorsorge“ dürfen die Arbeitnehmer alleine tragen und die Versicherungskonzerne haben ein lukratives Geschäftsfeld entdeckt. Dies ist der systematische Missbrauch des demographischen Wandels zur Durchsetzung von Einzelinteressen.

Was hat die Anzahl der Beschäftigten bzw. die Größe der Bevölkerung in einer Region mit der Lebensqualität zu tun? Wo sind die Menschen zufrieden und glücklich? An der Spitze der Umfragen stehen immer die skandinavischen Länder. Das sind die Länder mit der geringsten Bevölkerungsdichte und dem höchsten Steuersatz. Alle Dinge, die dem Deutschen den Angstschweiß auf die Stirn treiben, machen offensichtlich glücklich.

Nein, das Problem ist nicht die demographische Entwicklung sondern die zunehmende Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen sowie die permanente Umverteilung zugunsten der Vermögenden und Kapitaleigentümer. Das ist die größte Wachstumsbremse, die sich in einer deutlich gesunkenen Lohnquote widerspiegelt. Die Arbeitsmärkte sind nach wie vor von Massenarbeitslosigkeit und von einem dramatisch hohen Ausmaß an prekärer Beschäftigung geprägt. Und dann sprechen die Unternehmen von „Fachkräftemangel“. Deutschland ist aufgrund des niedrigen Lohnniveaus für ausländische Fachkräfte unattraktiv. Wenn angeblich freie Stellen bei lächerlich geringen Gehältern nicht besetzt werden können, darf man nicht über Fachkräftemangel klagen sondern muss einfach die Gehälter erhöhen. Wer allerdings durch die Zuwanderungsdiskussion die deutschen Löhne unter Druck setzen will, darf sich nicht wundern, wenn Zuwanderung nicht als Bereicherung sondern als Bedrohung angesehen wird.

Viele Probleme schreibt die Politik daher einfach dem demographischen Wandel zu, nach dem Motto: „Augen zu und durch“. Diese Strategie ist natürlich weniger konfliktbehaftet und sichert vielleicht den nächsten Wahlsieg.